Die medikamentöse Unterstützung in der Verhaltenstherapie bei Hunden und Katzen ist ein wichtiger Baustein in der Behandlung von emotional bedingten oder pathologischen Verhaltensstörungen. Medikamente kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn:

  • das Tier unter erheblichem Leidensdruck steht,
  • die Lernfähigkeit durch starke Angst oder Stress blockiert ist,
  • nicht-medikamentöse Maßnahmen alleine keine ausreichende Wirkung zeigen oder
  • ein akuter Krisenzustand (z. B. Selbstverletzung, massives aggressives Verhalten) vorliegt.

Die Auswahl und Anwendung erfolgen individuell, leitliniengerecht und unter tierärztlicher Kontrolle.

1. Ziele der medikamentösen Unterstützung

  • Emotionale Stabilisierung
  • Reduktion von Angst, Panik, Impulsivität oder Zwang
  • Verbesserung der Lern- und Trainingsfähigkeit
  • Vermeidung der Chronifizierung von Verhaltensstörungen
  • Unterstützung bei der Etablierung neuer Verhaltensmuster

Medikamente heilen nicht das Verhalten selbst, sondern schaffen die Voraussetzung für erfolgreiches Training und nachhaltige Verhaltensänderung.

2. Grundlegende Prinzipien

  • Vor jeder Medikation steht eine gründliche Diagnostik (inkl. Ausschluss organischer Ursachen).
  • Medikamente ersetzen niemals Training oder Umweltanpassung, sondern unterstützen diese.
  • Auswahl, Dosierung und Dauer erfolgen tierspezifisch, indikationsgerecht und ggf. off-label, mit Aufklärung der Tierhalter:in.
  • Mögliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sind zu beachten.
  • Regelmäßige Kontrollen sind notwendig.

3. Medikamentengruppen und Einsatzgebiete

A) Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

z. B. Fluoxetin, Sertralin, Paroxetin

  • Wirkung: Stimmungsstabilisierend, angstlösend, antizwanghaft
  • Indikationen: Trennungsangst, generalisierte Angststörungen, Zwangsstörungen, Aggression (sozial motiviert)
  • Wirkungseintritt: nach 2–4 Wochen
  • Hinweis: gute Studienlage bei Fluoxetin (z. B. gegen Trennungsangst beim Hund)

B) Trizyklische Antidepressiva (TZA)

z. B. Clomipramin, Amitriptylin

  • Wirkung: angstlösend, leicht sedierend, antidepressive Effekte
  • Indikationen: Trennungsangst, Unsauberkeit (Katzen), Geräuschangst, Zwangsverhalten
  • Hinweis: Clomipramin ist in einigen Ländern für Hunde und Katzen zugelassen
  • Vorsicht: kann anticholinerge Nebenwirkungen haben

C) Benzodiazepine (nur kurzfristig!)

z. B. Alprazolam, Diazepam, Lorazepam

  • Wirkung: akut anxiolytisch, sedierend
  • Indikationen: akute Panik (z. B. Silvester), tierärztliche Behandlungen, Transportangst
  • Wirkungseintritt: innerhalb von 30–60 Minuten
  • Gefahr: Toleranzentwicklung, paradoxe Reaktionen, Abhängigkeitsrisiko, nicht langfristig geeignet!
  • Achtung: Bei Katzen ist Diazepam hepatotoxisch – nicht ohne Risiko!

D) Alpha-2-Agonisten (z. B. Dexmedetomidin)

z. B. als Oromukosale Gelformulierung (Sileo®)

  • Wirkung: beruhigend, angstlösend ohne starke Sedierung
  • Indikationen: Geräuschphobie, akute Angstsituationen
  • Vorteil: sehr gezielte Anwendung vor Stressreizen
  • Wirkungseintritt: 30–60 Minuten
  • Anwendung: auch zuhause durch Halter möglich

E) MAO-Hemmer (Monoaminoxidase-Hemmer)

z. B. Selegilin

  • Indikation: kognitive Dysfunktion bei geriatrischen Hunden
  • Wirkung: verbessert Konzentration, Tagesrhythmus, soziale Interaktion
  • Hinweis: kann mit anderen Psychopharmaka nicht kombiniert werden – Interaktionsgefahr

F) Nahrungsergänzungen / Nutrazeutika

z. B. L-Theanin, Alpha-Casozepin, L-Tryptophan, Zylkene®, Adaptil®/Feliway® (Pheromone)

  • Wirkung: mild anxiolytisch, stressreduzierend
  • Einsatz: begleitend bei leichten Störungen oder als Einstieg
  • Vorteil: rezeptfrei, gute Akzeptanz
  • Nachteil: geringe Wirkungstiefe bei schwerwiegenden Problemen

4. Auswahlkriterien für die passende Medikation

  • Art der Störung (Angst vs. Aggression vs. Zwang)
  • Akut vs. chronisch
  • Individuelle Reaktion und Nebenwirkungstoleranz
  • Vorliegen anderer Erkrankungen (z. B. Leber, Niere, Herz)
  • Begleitende Maßnahmen (Training, Management)
  • Praktikabilität der Gabe im Alltag

5. Nebenwirkungen und Vorsichtsmaßnahmen

  • Appetitveränderungen, Sedierung, Magen-Darm-Störungen
  • Paradoxe Erregung bei Benzodiazepinen
  • Risiko von Serotonin-Syndrom bei Kombinationsmedikation
  • Organschädigung (z. B. Lebertoxizität bei Katzen durch Diazepam)

6. Kombination mit Verhaltenstherapie

  • Medikamente sollen keine Dauerlösung sein, sondern die Therapie unterstützen.
  • In der Regel erfolgt die Medikation zeitlich begrenzt (3–12 Monate).
  • Ein langsames Ausschleichen ist erforderlich, um Rebound-Effekte zu vermeiden.
  • Der Erfolg ist besonders hoch, wenn Training, Management und Medikation gezielt kombiniert werden.

Fazit

Die medikamentöse Unterstützung kann bei schwerwiegenden oder therapieresistenten Verhaltensproblemen bei Hunden und Katzen eine wesentliche Verbesserung der Lebensqualität bewirken. Eine fundierte tierärztliche Diagnostik, die kontinuierliche Betreuung sowie die Einbindung in ein umfassendes Therapiekonzept sind dabei entscheidend für die Sicherheit und Wirksamkeit.